Bevölkerungsszenarien und Klimawandel

Mit seiner Forderung nach mehr «Factfulness» rief Hans Rosling dazu auf, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist – also in vieler Hinsicht besser, als die meisten Menschen denken. Rosling schreckte aber auch nicht vor den Bedrohungen und Risiken zurück, die mit den vielen in seinem Buch erwähnten positiven globalen Entwicklungen einhergehen. 2018 schrieb er: «Die fünf [globalen Risiken], die mich am meisten beunruhigen, sind globale Pandemien, ein Finanzkollaps, Weltkriege, der Klimawandel und extreme Armut. Warum beunruhigen mich gerade diese Probleme? Weil sie mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit passieren werden.»[1]

Datenerhebungen und -analysen sind unerlässlich, um die Welt von gestern und heute zu beschreiben und zu verstehen. Solide empirische Fakten über die heutige Welt können aber auch als Ausgangspunkt für Zukunftsszenarien dienen. Obwohl sich solche Prognosen vom festen Boden der empirischen Beobachtung entfernen, beruhen die ihnen zugrunde liegenden Hypothesen auf den in der Vergangenheit und in der Gegenwart beobachteten Trends.

Um diese Trends in einer hochkomplexen Welt zu verstehen, braucht es häufig einen interdisziplinären Ansatz: Daten aus verschiedenen Quellen müssen kombiniert werden, damit sich unterschiedliche, aber vermutlich zusammenhängende Begebenheiten vergleichen lassen. Wissenschaftliche Überlegungen zu den Wechselwirkungen zwischen Menschen und ihrem natürlichen Umfeld werden schon seit eh und je angestellt, weshalb es auf diesem Gebiet sehr viel Literatur gibt. In der aktuellen Debatte zum Klimawandel wird häufig der Mensch als Verursacher des beobachteten Trends dargestellt. Die von der Wissenschaft und den Institutionen erstellten globalen und regionalen Klimaszenarien berücksichtigen systematisch auch die Bevölkerungstrends, wobei nicht allein die Bevölkerungszahlen massgeblich sind, sondern auch das Verhalten der Menschen zur Eindämmung des Klimawandels.

Umgekehrt rücken auch die Auswirkungen des Klimawandels auf das menschliche Leben zunehmend in den Fokus. Dennoch erwähnen weder die UNO noch Eurostat den Klimawandel explizit in den Hypothesen, auf denen die Bevölkerungsszenarien für 2100 beruhen. Aber auch unter Demografinnen und Demografen verbreitet sich zunehmend die von Raya Muttarak wie folgt formulierte Annahme: «Wenn globale Umweltveränderungen die Geburten, die Sterblichkeit und die Migration beeinflussen, müssen auch die Schätzungen und Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung dahingehend angepasst werden, um den Einflüssen des Klimas in den Bevölkerungsszenarien Rechnung zu tragen»[2].

Vor diesem Hintergrund zielt der Workstream «Bevölkerungsszenarien und Klimawandel» darauf ab, die möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Weltbevölkerung zu untersuchen. Er bietet eine Plattform für breite, interdisziplinäre, explorative Diskussionen zu folgenden Fragen:

  • Wo steht die internationale demografische Forschung im Hinblick auf die Berücksichtigung der Auswirkungen des Klimawandels auf die Bevölkerungsszenarien? Weshalb ist diese Debatte für die Schweiz und die Bevölkerungsszenarien des BFS relevant?
  • Inwiefern ist es sinnvoll und möglich, die Entwicklungen in solch komplexen Systemen zu modellieren? Können solide, klimasensible Bevölkerungsszenarien erstellt werden – sowohl für die Welt als auch für spezifische Regionen oder Länder?
  • Wie könnte sich der Klimawandel in den nächsten 50 oder 100 Jahren auf die Migration, die Sterblichkeit und die Geburten auswirken? Welche Daten und Kenntnisse werden benötigt, um diese Faktoren zu einem sinnvollen statistischen Modell zu verknüpfen?

«Man muss nicht einmal nur das Worst-Case-Szenario anschauen, um zu sehen, dass der Klimawandel eine enorme Bedrohung darstellt», sagte Rosling[3]. Während es in der Wissenschaft bezüglich der klimatischen Veränderungen in den kommenden Jahrzehnten kaum Zweifel gibt, sind deren Auswirkungen auf die Menschheit nur sehr schwer vorauszusehen. Deshalb ist es grundlegend, dass jede Institution, die über Daten und Kenntnisse in diesem Bereich verfügt, die Zusammenhänge zwischen Klima und Bevölkerung untersucht.

Johanna Probst
Gruppenleiterin Demografische Analysen
Demografie und Migration
Bundesamt für Statistik


[1] Rosling, Hans, Factfulness, Sceptre, 2018, S. 237 (interne Übersetzung BFS)

[2] Muttarak, Raya, «Demographic perspectives in research on global environmental change», Population Studies, 2021, S. 77 (interne Übersetzung BFS)

[3] Rosling, Hans, Factfulness, Sceptre, 2018, S. 239 (interne Übersetzung BFS)